Das Problem des Sonntagsverkaufs bestimmter Geschäfte bleibt ungelöst, das Tessin wartet auf eine Entscheidung aus Bern. Die Ungewissheit hilft niemandem. Dass heute, im Jahr 2014, Geschäfte mit viel touristischer Kundschaft ihre Waren den Kaufwilligen an Feiertagen nicht anbieten dürfen, ist unverständlich. Der Grenzraum vor Italien, das Mendrisiotto, ist seit Jahren einem harten Wettbewerb durch italienische Einkaufszentren in Como und Varese ausgesetzt, die von viel längeren Öffnungszeiten profitieren.
Mitte der neunziger Jahre investierte ein weitsichtiger Unternehmer in Mendrisio in das Einkaufszentrum Fox Town, unter der Bedingung, dass die Läden auch am Sonntag geöffnet sein dürfen. Der Erfolg war riesig, der Zustrom italienischer und touristischer Kundschaft enorm. Ein Grossteil des Umsatzes wird an Sonntagen erzielt. Möglich wurde diese Initiative durch das Einverständnis der Gewerkschaften, die sich nie gegen den Sonntagsverkauf in Mendrisio gesperrt hatten. Immerhin stehen mehrere hundert Arbeitsplätze auf dem Spiel. Seit einigen Jahren haben andere Geschäfte und Einkaufszentren an der Grenze zu Italien in Chiasso – etwa das futuristische Centro Ovale, das von der Autobahn zu sehen ist – ebenfalls diesen Weg eingeschlagen. Darauf nahmen der Staatsrat und die Gewerkschaften eine härtere Haltung ein. Innerhalb kurzer Zeit verwandelte sich ein Klima der Toleranz, die von einer Art Sozialpakt getragen wurde und niemandem Probleme machte, in Ablehnung, Spannungen, harte Auseinandersetzungen und vor allem grosse Unsicherheit.
Der Gesetzgeber drückt sich vor seiner Verantwortung und hat das heisse Eisen an die Gerichte weitergereicht. Doch bisher hat das Bundesgericht noch kein für den Tessiner Fall erhellendes Urteil gefällt. So versucht jeder, die Entscheide der Richter aus Lausanne zu Einkaufszentren in anderen Kantonen zum eigenen Vorteil auszulegen.
Nach einem Vorstoss von Ständerat Fabio Abate von der FDP steht nun die Änderung der Verordnung zum Arbeitsgesetz durch den Bundesrat aus. Diese würde lediglich der Tatsache Rechnung tragen, dass es in unserer Gesellschaft auch einen Einkaufstourismus gibt. Die dynamischen Händler, die investieren und ein unternehmerisches Risiko eingehen, kommen einer realen Nachfrage nach. Die Konsumtouristen, die einkaufen möchten, sollen bedient werden dürfen. Dem Personal sind dieselben Garantien zu gewähren, die bereits heute in anderen Branchen für Sonntagsarbeit gelten. Der Grenz- und Tourismuskanton Tessin wartet auf eine Lösung.
Marina Masoni / 11.04:2014
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 20 aprile 2014
Pubblicato il: 28/04/2014