Unsere Welt ist immer stärker vernetzt. Doch sehen wir uns regelmässig mit der Schwäche und Anfälligkeit der Verbindungen konfrontiert – nicht der virtuellen, sondern der realen Verkehrswege. Das Tessin kennt diese Probleme zur Genüge. Der Kanton italienischer Sprache und Kultur liegt zwar auf der wohl wichtigsten Verbindungsachse zwischen Nord- und Südeuropa. Dennoch bekommt das Tessin zu spüren, wie prekär die Verbindungen sind. Der Verkehr nimmt auf allen Transportwegen zu, die Bevölkerung wächst. Kurz vor der Eröffnung des Gotthardstrassentunnels im Jahr 1980 lebten noch 265 000 Menschen im Tessin, im Jahr 2000 waren es bereits 306 000, und heute sind es 350 000. Die Infrastruktur scheint aber für eine effiziente Mobilität nicht gerüstet zu sein.
Welches sind die Schwachstellen? 1. Der Gotthardstrassentunnel. Das Thema ist bekannt. Ohne eine zweite Röhre läuft das Tessin Gefahr, während der anstehenden Tunnelsanierung drei Jahre lang von der Schweiz abgeschnitten zu werden. Ausserdem wird die Nachfrage nach Mobilität langfristig nicht aufgefangen. 2. AlpTransit. Eine Errungenschaft und ein Bauwerk von grösster Wichtigkeit, mit den Basistunnels am Gotthard und am Ceneri. Doch von Lugano in Richtung Süden wird es wohl noch lange nur die alte Eisenbahnlinie geben, auf der die Züge im Schnitt mit 80 Kilometern pro Stunde fahren. Für die Zukunft eine grosse Belastung. 3. Der Flughafen Lugano-Agno: Die Lage ist prekär, die Zukunft unsicher, die Stadt Lugano als Inhaberin steckt in Finanznot, der Kanton hat noch nicht entschieden, was er tun will, und manche würden sogar am liebsten alle Linienflüge streichen. 4. Die S-Bahn Lugano–Mendrisio–Stabio–Varese– Malpensa: Ein wichtiges Infrastrukturwerk für einen raschen Zugang zum internationalen Flughafen Mailand. Die Linie bis nach Stabio ist gebaut. Und ab da? Niemand weiss, wann Italien die Strecke fertigstellen wird. 5. Die Autobahn: Die Zukunft der Nordverbindung ist unklar, im Süden stehen wir kurz vor dem Kollaps. Die vierspurige Autobahn zwischen Lugano und Chiasso reicht nicht mehr aus, um den Verkehr aufzufangen. Es sollten möglichst schnell zwei weitere Spuren geplant und realisiert werden. Italien hat sechs Spuren von Como bis zur Umfahrung von Mailand gebaut. Und wir?
Das sind die Schwachstellen des Tessins. Die prekären Verbindungswege sind eine Bedrohung für unsere Wirtschaft. Auto, Lastwagen, Zug, Flugzeug sind heute für sich allein schwache Vektoren. Es ist höchste Zeit für eine integrierte, umfassende Verkehrsstrategie auf der Nord-Süd-Achse.
Marina Masoni / Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 14 dicembre 2014
Pubblicato il: 19/12/2014