Die provisorischen Zahlen zum Schweizer Bevölkerungsstand 2014, die das Bundesamt für Statistik Ende April veröffentlicht hat, bestätigen zwei bekannte, landesweite Trends: Wir werden immer mehr (besonders wegen der Einwanderung), und wir werden immer älter. Die regionalen Unterschiede sind allerdings enorm. Es gibt Kantone, deren Durchschnittsalter tiefer ist und die viel mehr junge Menschen zählen, während in anderen Kantonen der allgemeine Trend stärker ausgeprägt ist. Es gibt also auch einen demografischen Föderalismus. Und auch hier spielt das Tessin eine Sonderrolle. Warum?
Vergleichen wir das Tessin mit dem Kanton Zürich: Letztes Jahr lebten im Tessin 350 000 Einwohner; Zürich zählte fast 1,5 Millionen. Zürich ist jünger als der Schweizer Durchschnitt, das Tessin älter. Im grössten Schweizer Kanton sind nur 17,8 Prozent der Bewohner älter als 65 Jahre. In der Sonnenstube sind es 21,6 Prozent. Ein Unterschied von fast vier Prozentpunkten, das ist viel. Und ein Blick auf die Menschen im vierten Alter – auf jene über 80 Jahre – zeigt, dass von diesen in Zürich nur 4,7 Prozent leben, im Tessin hingegen 6,1 Prozent. Das Bundesamt für Statistik berechnete auch den sogenannten Altersquotienten, also den Anteil der über 65-Jährigen pro 100 Personen im erwerbsfähigen Alter. Hier ist der Unterschied frappierend: Zürich kommt auf einen Anteil von 26,5 Prozent, das Tessin auf einen von 36 Prozent. Die Kluft ist eindrücklich. Das Schweizer Mittel beträgt 28,7 Prozent.
Kein anderer Kanton hat einen so hohen Quotienten wie das Tessin. Dies erklärt einige Phänomene in unserem Grenzkanton: weniger Erwerbstätige, höhere Gesundheitskosten, vielleicht sogar und zumindest teilweise eine weniger offene Mentalität gegenüber dem Anderen und eine schwächere soziale und politische Dynamik. Und nicht zuletzt ein kleineres Pro-Kopf-Einkommen. Die Langzeitprojektionen des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass dieser demografische Trend im Tessin noch zunehmen wird. Im Jahr 2040 dürfte der Anteil der über 65-Jährigen an der Tessiner Bevölkerung auf 32,1 Prozent wachsen. Einer von drei Tessinern wird dann also pensioniert sein. Und der Altersquotient wird sich verdoppeln und von 36 Prozent auf 62,6 Prozent ansteigen – im Tessin werden dann auf drei Erwerbstätige praktisch zwei Pensionäre kommen (sofern das Pensionsalter unverändert bleibt). Diese Aussichten stellen die Tessiner Politik bereits heute vor ein Paradox: Wenn die Bevölkerung in diesem Tempo weiter altert, kann der Kanton dann seine Federführung bei der restriktiven Einwanderungspolitik weiter behalten?

Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 17 maggio 2015

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Pubblicato il: 22/05/2015