Regelmässig wird im Tessin über den Erhalt historischer oder architektonisch wertvoller Bauten diskutiert. In jüngster Zeit kam es erneut zu einer hitzigen Debatte über einige städtische Infrastrukturen. Zwei davon dürften auch diesseits des Gotthards bekannt sein: Am Ausgangspunkt der Dammbrücke von Melide wurde die Villa Galli aus dem 19. Jahrhundert, bekannt als „La Romantica“, abgerissen. Bis zuletzt versuchten Architekten und Politiker, die sich für die Wahrung der architektonischen Identität des Tessins einsetzen, die Villa zu retten. Auf ihrem Grundstück dürfte nun ein reizloser Wohnblock entstehen.
Im Quartier Lugano-Cassarate säumt eine Allee aus Rosskastanien vor dem Messegebäude Padiglione Conza einen rund 200 Meter langen, breiten Weg. Es ist der viale Castagnola, der aus dem Stadtbild Luganos nicht weg zu denken ist. Kürzlich verkündete die Stadtexekutive, sie wolle die beiden Baumreihen abholzen und auf der einen Seite durch Ginkgos, auf der anderen durch einen Veloweg ersetzen. Es hagelte Proteste. Zunächst im Internet, dann durch Unterschriftensammlungen. Schliesslich hiess es, man habe nicht gemerkt, dass die Bäume als Kulturgut eingetragen und durch den Zonenplan geschützt sind. Das Projekt wurde auf Eis gelegt; der Gesundheitszustand der Bäume wird noch begutachetet.
Eine Niederlage in Melide, ein Erfolg in Lugano also für die Verfechter des Erhalts historischer Objekte gegen die Erneuerer. Mit dem Wachstum von Bevölkerung und Wirtschaft dürften sich solche Auseinandersetzungen häufen und verschärfen. Eine wachsende Gemeinschaft, die in einem objektiv begrenzten Gebiet lebt und arbeitet, braucht neue Räume. Gezwungenermassen muss sie sich diese auch innerhalb der besiedelten Räume suchen und manchmal bestehende Strukturen durch neue ersetzen. Oft reicht ein Umbau nicht aus. In der Geschichte Europas war dies schon immer so. Viele religiöse und zivile Monumente wurden an Stelle vorheriger Bauten errichtet. Den Dom von Florenz gäbe es nicht, wenn im 14. Jahrhundert nicht die alte Kirche Santa Reparata abgetragen worden wäre. Ja, um zu bauen, darf und muss man zerstören. Doch sollte das Neue dazu beitragen, die architektonische und städtebauliche Identität einer Ortschaft zu gestalten statt sie einfach auszulöschen. Prägende Elemente sollten nicht durch Banalitäten und Anonymität ersetzt werden. Natürlich sind diese Begriffe diskutierbar, aber ein paar Pflöcke zur Trennung zwischen Wertvollem und Bedeutungslosem dürfen und sollen durchaus eingeschlagen werden.
MM / 23.12.2013
Pubblicato il: 20/01/2014