Die Spektakel auf den verschiedenen Tessiner Piazze sind vorbei, die grossen Feste wurden gefeiert, das diesjährige Filmfestival von Locarno ist schon wieder Geschichte. Nun haben wir Zeit und Raum, um über die stilleren Kulturattraktionen nachzudenken. Sie sind weniger mondän, deshalb aber nicht weniger interessant und nicht weniger bedeutsam. Eine liegt dem deutschsprachigen Publikum besonders am Herzen: das Museum und der Park von Hermann Hesse in Montagnola, einem Ortsteil der Gemeinde Collina D’Oro.

Der grosse Schriftsteller (und Maler) deutscher Herkunft, der sich in der Schweiz einbürgern liess, lebte an diesem herrlichen Ort im Tessin von 1919 bis 1930 zuerst in einer Mietwohnung in der Casa Camuzzi und später, von 1931 bis zu seinem Tod am 9. August 1962, in der Casa Rossa. Im exotischen Garten des ersten Hauses fand Hesse, jenseits der Hochs und Tiefs seiner existenziellen Angelegenheiten, eine fabelhafte Inspirationsquelle, auch für seine Bilder. Im Park seiner zweiten Residenz begann sich der Schriftsteller der Gartenarbeit zu widmen. In jenen langen Stunden der Einsamkeit in Tuchfühlung mit der Natur nahm – so erinnert sich sein Sohn – Hesses letzter, vielschichtiger Roman «Das Glasperlenspiel» Gestalt an. Das Werk erschien 1943 und trug viel dazu bei, dass ihm 1946 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde.

Das Museum Hermann Hesse wurde 1997 in der Torre Camuzzi realisiert, einem Gebäude, das sich unweit der Casa Camuzzi befindet. Seit 2000 von einer privaten Stiftung verwaltet, beherbergt das Museum eine Dauerausstellung; gezeigt werden dort persönliche Gegenstände, Fotografien, Bücher und Bilder des Schriftstellers. Die Stiftung organisiert auch Spezialausstellungen, Konferenzen, Konzerte, Filmabende, Lesungen, Spaziergänge im Park, Mal- und Schreibkurse und gibt Kataloge und CD über Leben und Wirken Hesses heraus. All diese Aktivitäten ziehen jedes Jahr Tausende von Kulturinteressierten an. Über die Orte aus Hermann Hesses Biografie sind zurzeit im Tessin lebhafte Debatten im Gang. Ein Bauprojekt, das einen Teil des Gartens beanspruchen würde, hat jüngst für Unruhe und Widerstand gesorgt. Es gibt Stimmen, die die öffentliche Hand dazu bewegen wollen, einen echten Literaturpark ins Leben zu rufen. Die Konfliktlinie ist bekannt: Ökonomie versus Kunst. Bleibt zu hoffen, dass sich die Präferenzen vereinbaren lassen und machbare Lösungen entwickelt werden. Dies ist im Interesse aller Beteiligten. Dazu braucht es bloss ein wenig Kreativität – und an der sollte es im Tessin nicht fehlen.

Marina Masoni / agosto 2014

Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 24 agosto 2014

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Pubblicato il: 29/08/2014