Soll die Schweiz die Tür für einen Beitritt zur Europäischen Union offen lassen? Ja, meinen Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, zu denen die Altbundesräte Micheline Calmy-Rey und Pascal Couchepin gehören. Am 13. Oktober lancierte die Gruppe einen Aufruf zu einem «sachlichen Dialog» über die Beziehungen zwischen unserem Land und der EU nach der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative und vor jener zur Ecopop-Initiative, welche die Einwanderung in die Schweiz noch drastischer einschränken will. Zu den Anliegen der Gruppe gehört unter anderem der Beitritt der Schweiz zur EU, der nicht a priori und definitiv ausgeschlossen werden dürfe.
Wie sinnvoll ist dieses Anliegen? Ist es richtig und nützlich, strategisch über den Beitritt unserer föderalistischen, mehrsprachigen und halbdirekten Demokratie in die EU nachzudenken? Nein. Europa braucht eine wie auch immer geartete Union jener Länder, die sich in den Jahren der totalitären Systeme bekriegt haben. Diese Option ist kaum mehr rückgängig zu machen. Doch ist es unnötig, und es wäre sogar schädlich, alle Länder Europas in diese Organisation einzubeziehen, liegt doch der Wettbewerb zwischen den Staaten im Interesse der Bürger.
Der strategische Fehler der EU, der heute so viele Probleme verursacht, besteht darin, dass die EU identisch sein will mit Europa. Sie will ihre Grenzen ausdehnen und will, dass sich die soziale, historische, politische und kulturelle Vielfalt des alten Kontinents in der EU erschöpfen. Wir Schweizer sind ein Teil dieses Europas, das etwas ganz anderes ist – und bleiben soll – als die EU. Die EU wurde als Friedensprojekt ins Leben gerufen. Doch gibt es keinen Grund, jene Länder mit in die Union einzuschliessen, die an den Kriegen gar nicht beteiligt waren, erst recht, wenn sich diese Staaten der Neutralität verpflichtet haben. Selbst für die EU ist es wichtig, dass man auch Europäer ausserhalb der EU sein kann.
Der Weg für unsere Beziehungen zur EU sind die bilateralen Abkommen. Seit dem 9. Februar gibt es auf diesem Weg Hindernisse. Wir sollten unsere Energie und unser politisches Geschick einsetzen, um diese Hindernisse – unter Achtung des Volkswillens – zu überwinden. Erneute Diskussionen über einen EU-Beitritt würden diesen realistischen Weg behindern, ohne dass eine konkrete Alternative besteht. Gäbe es heute einen Urnengang zum Beitritt zur EU, dürfte die gesamte Schweiz wie das Tessin abstimmen. Warum also darauf beharren, eine Tür offen zu halten, wenn dies bloss einen gangbaren Weg versperrt, ohne einen anderen aufzutun?
Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 2 novembre 2014
Pubblicato il: 07/11/2014