In der ganzen Schweiz geht es mit den Gemeindefusionen voran. Auch im Tessin wurden Fortschritte gemacht. Am 7. November hat der Staatsrat den Kantonalen Richtplan für Gemeindefusionen in die Vernehmlassung geschickt. Dieser sieht vor, die Zahl der Kommunen von 135 auf 23 zu reduzieren. Das Ansinnen ist nicht neu. Bereits Ende der Neunziger Jahre wurden die Weichen gestellt. Damals zählte das Tessin 245 Gemeinden, fast gleichviele wie im 19. Jahrhundert. Der erste Anstoss zu Aggregationen erfolgte 1998 durch ein Projekt, das die Reduktion auf 86 Gemeinden vorsah. Man nannte das damals eine „Atombombe“, denn das Tessin ist historisch aus den Kommunen gewachsen und noch stark einer Gemeindeorganisation verhaftet, die im 19. Jahrhundert von Stefano Franscini geprägt wurde.
Das ehrgeizige Ziel wurde zwar nicht erreicht, dennoch wurde die Gemeindezahl innerhalb von zehn Jahren um 110 reduziert. Viele konsultative Volksabstimmungen unterstützten diesen Prozess. In einigen Fällen bremsten sie ihn allerdings ab. In ganz wenigen Einzelfällen erzwang der Kanton, gestützt vom Bundesgericht, einen Zusammenschluss. Heute ist das Ziel noch ehrgeiziger: Bis 2020 sollen weitere 112 Gemeinden verschwinden, also praktisch gleich viele wie von 2000 bis heute. Man könnte von einer zweiten „Atombombe“ sprechen. Die Schaffung von solideren und stärkeren Gemeinden ist sinnvoll. Die Stadt Lugano als Wirtschaftsmotor des Kantons hat dank der Aggregation an Stärke und politischem Einfluss gewonnen (in der Agglomeration sind nur Massagno, Paradiso und Sorengo autonom geblieben). Im Süden ist Mendrisio dem Trend gefolgt und hat sich mit verschiedenen kleineren Gemeinden zusammen geschlossen. Nördlich des Monte Ceneri hat sich allerdings wenig getan. Die Fusion zum Grossraum Locarno wurde von den umliegenden Gemeinden verworfen. Für die Aggregation des Grossraums Bellinzona wurden nun mit grosser Verspätung erste Schritte unternommen, eine Umsetzung liegt aber noch in weiter Ferne. Wie ist dieser Tempounterschied zu erklären? Warum ist man im Sopraceneri zögerlicher als im Sottoceneri? Wir sind ein Grenzkanton. Im Europa der Regionen ist der Markt immer offener. Lugano und Mendrisio haben erkannt, dass sich die Gemeinden nicht mehr nur untereinander sondern vermehrt an der mächtigen Wirtschaftsregion Lombardei als unmittelbare Konkurrentin zu messen haben. Möglicherweise kommt mit dem neuen Richtplan für Gemenidefusionen dieses Bewusstsein auch im Nordtessin an.
MM 25.11.2013
NZZ am Sonntag/ Grenzerfahrungen, 1.12.2013
Pubblicato il: 09/12/2013