Gleich nach den Feiertagen ist das Tessin in die heisse Phase der Kantonalwahlen vom kommenden 19. April eingetreten, deren Ausgang äusserst unsicher ist. Die Ernüchterung über die Parteien ist gross. Viele Beobachter prophezeien einen massiven Anstieg der leeren Listen: Schon vor vier Jahren wählten 13,6 Prozent der Wählerinnen und Wähler parteilos für den Staatsrat, gar 15,7 Prozent taten es für den Grossrat.
Der grösste Unsicherheitsfaktor bei den Wahlen ist der fünfte Sitz im Staatsrat, der im Proporz gewählt wird. 2011 hatte die Lega dei Ticinesi zwei Mandate erobert, die FDP ging von zwei auf einen Sitz zurück, während CVP und SP jeweils ein Mandat behielten. Wie wird es im April ausgehen? Die Lega steigt zum ersten Mal seit ihrer Gründung ohne den 2013 verstorbenen Giuliano Bignasca ins Rennen und ohne Marco Borradori, der Stadtpräsident von Lugano geworden ist. Wird sie die beiden Sitze halten und stärkste Partei bleiben?
Zweifellos wird das Seilziehen zwischen der Lega und der FDP die Wahlen dominieren. Das Zünglein an der Waage könnte dabei die neue Formation «La Destra» (die Rechte) sein, der Zusammenschluss von der SVP (mit Nationalrat Pierre Rusconi) und zwei kleinen Parteien (Area Liberale und EDU). 2011 war die SVP nicht für die Regierung angetreten. Wem wird die Destra mehr Stimmen entziehen, der Lega oder der FDP? Die Lega kann auf die Magnetwirkung der beiden bisherigen Regierungsräte Norman Gobbi und Claudio Zali zählen, die beide wieder kandidieren. Die FDP hingegen präsentiert sich mit fünf neuen Gesichtern, da die amtierende Laura Sadis, unter anderem aufgrund von Differenzen mit ihrem Parteipräsidenten, nicht mehr antritt. Das Rennen ist offen. Die CVP präsentiert eine Kampfliste mit dem bisherigen Paolo Beltraminelli und Nationalrat Fabio Regazzi, was einen spannenden Wahlkampf verheisst. Sehr schwach ist hingegen die Liste der SP. Regierungsrat Manuele Bertoli wird von vier chancenlosen Aussenseitern flankiert. Bei den Sozialisten wird ein weiterer Wählerschwund befürchtet, wie vor zwei Jahren bei den Kommunalwahlen von Lugano.
Eine Unbekannte gibt es noch: die Grünen unter Sergio Savoia, der locker mit grünen, linken und rechtspopulistischen Themen jongliert. Die Ausgangslage bilden die Resultate von 2011 für den Staatsrat: Die Lega erzielte damals 29,8 Prozent, die FDP 24,9 Prozent, die CVP 19,9 Prozent und die SP 16,3 Prozent. Die nicht in der Regierung vertretenen SVP und EDU kamen im Grossrat auf 5,4 Prozent Wähleranteil. Bleibt das so, oder kommt es zu einem kleinen Erdbeben?
Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag l’11 gennaio 2015
Pubblicato il: 16/01/2015