Heute Sonntag werden gegen Abend die Wahlergebnisse für den Tessiner Regierungsrat bekanntgegeben. Der Wahlkampf war sehr lang und verhältnismässig lahm. Immerhin steht viel auf dem Spiel: Die Lega dei Ticinesi und die FDP wetteifern um den Primat in Regierung und Parlament. In der Legislatur von 2011 bis 2015 stellte die Lega mit zwei von fünf Sitzen die relative Mehrheit in der Exekutive, die FDP mit 23 von 90 Sitzen jene im Grossen Rat. Die Umfragen geben der Lega weiterhin den Vorrang in der Exekutive, doch die FDP darf noch hoffen.
Wer das Rennen verliert, sieht sich grossen Problemen gegenüber. Sollte die Lega den zweiten Regierungssitz einbüssen, droht ihr ein Verlust von Wählern und Konsens. Seit dem Tod des Gründers und Parteipräsidenten Giuliano Bignasca hat die Lega keinen wirklichen Leader mehr. Sie zehrt noch immer von der Popularität des ehemaligen Staatsrats und heutigen Stadtpräsidenten von Lugano, Marco Borradori. Zwar scheint sie im neuen Regierungsrat Claudio Zali eine weitere Galionsfigur gefunden zu haben, doch keiner der beiden hat bisher die Zügel der Partei in die Hand genommen. Die Lega ist verwaist. Und es gibt interne Unstimmigkeiten: Besonders Nationalrat Lorenzo Quadri vertritt eine profiliertere und weniger ministeriale Linie. Eine Wahlniederlage würde intern harte Auseinandersetzungen über die künftige Positionierung der Lega auslösen.
Sollte die FDP den zweiten Regierungssitz nicht zurückerobern, dürfte es parteiintern zu Abrechnungen kommen. Bereits während der Kampagne rumorte es am linken Flügel, und der frühere Staatsanwalt und Grossrat Jacques Ducry kandidiert als Unabhängiger auf der Liste der SP. Auch am rechten Flügel gab es Abgänge: Sergio Morisoli, vor vier Jahren Regierungsratskandidat und in den Grossrat gewählt, kandidiert nun auf der Grossratsliste SVP-AreaLiberale-EDU. Ein Erfolg der FDP würde helfen, alte Spaltungen zu überwinden, ein Misserfolg liesse diese neu aufbrechen.
Kurz, in den beiden grössten Tessiner Parteien bestehen Anzeichen von Instabilität und Zersplitterungsgefahr, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Vom heutigen Wahlergebnis hängt vieles ab. Wie es auch kommen mag, die internen Folgen werden sich auf die Beziehungen zwischen den beiden Parteien auswirken und Spannungen erzeugen, die sich bereits in diesem langen Wahlkampf abgezeichnet haben. Das Tessin könnte künftig ohne solide und stabile Mehrheiten bleiben und noch schwerer zu regieren sein als in der vergangenen, problematischen Legislaturperiode.
Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 19 aprile 2015
Pubblicato il: 24/04/2015