Der politische Druck für eine weitergehende Umverteilung der Vermögen wächst auch in unserem Land. Heute gebe es zu viele Ungleichheiten, und es brauche neue staatliche Massnahmen, um diese zu vermindern – insbesondere neue Steuern und Steuererhöhungen. Die Verfechter dieser These vergessen jedoch eine wichtige Tatsache: Das Schweizer Steuersystem ist bereits sehr sozial und auf Umverteilung ausgerichtet. Wer hat, dem wird viel abgenommen, und wer wenig hat, dem wird wenig oder nichts abgenommen. Jenen in der Mitte wird wahrscheinlich zu viel abgenommen.
Zwischen den Kantonen gibt es dabei grosse Unterschiede. Aber wir sind ein föderaler Staat, und daher ist es logisch und richtig, dass solche Unterschiede bestehen. Das Tessin gehört zu den Kantonen mit einer sehr sozialen Steuerpolitik. Das bestätigen die jüngsten Daten der Tessiner Steuerverwaltung über das Steueraufkommen der Ansässigen nach Einkommensschichten im Rechenschaftsbericht 2014 des Staatsrates, gestützt auf die Steuererhebung 2012 der natürlichen Personen (die Daten für 2013 sind noch nicht vollständig). Was sagen uns diese Zahlen? Erstens: 2 Prozent der Steuerpflichtigen kommen für 28,5 Prozent der Steuereinnahmen durch natürliche Personen auf. Das sind 3739 Steuerzahlende, die ein steuerbares Jahreseinkommen von über 200 000 Franken aufweisen und dem Kanton 165 Millionen Franken von 577 Millionen abgeben. Zweitens: Rund ein Viertel der 190 000 Steuerzahler zahlt dem Fiskus nichts. Drittens: 73 Prozent der Steuerpflichtigen mit einem steuerbaren Jahreseinkommen zwischen 20 000 und 200 000 Franken entrichten 71,5 Prozent der Steuereinnahmen (412 von 577 Millionen Franken). Diese breite Mittelschicht könnte man der Präzision halber noch weiter aufteilen, um den Mittelstand genauer zu beschreiben, doch damit würde das Bild nur noch deutlicher werden. Hinzu kommen zudem noch die Gemeindesteuer sowie die – ebenfalls stark progressiv ausgestaltete – direkte Bundessteuer.
Das Tessin darf also auf keinen Fall noch stärker in Richtung einer weiteren Umverteilung getrieben werden. Eine zusätzliche Besteuerung der hohen und der mittleren Einkommen hätte sehr negative Auswirkungen. Vielmehr sollten die laufenden wirtschaftlichen Veränderungen durch politische Initiativen abgefangen werden, die nicht auf Umverteilung abzielen, sondern auf die Schaffung neuer Einkommen (auch durch Steueranreize). Dies sollte in den kommenden Jahren das Hauptanliegen unseres Grenzkantons sein.
Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 14 giugno 2015
Pubblicato il: 19/06/2015