Welches Instrument für mehr Finanzdisziplin wird sich das Tessin geben? Am 18. Mai werden wir eine erste Antwort erhalten. Die Tessiner befinden über die Einführung einer Defizitbremse in die Kantonsverfassung. Diese wurde Ende Januar nach langem Hin und Her vom Grossen Rat gutgeheissen. Das Tessin gehört heute noch zu den wenigen Kantonen, die kein effizientes Instrument zur Durchsetzung der Finanzdisziplin besitzen.
Der Lösungsvorschlag des Kantonsparlaments wirft viele Fragen auf und will nicht einmal die Befürworter so richtig überzeugen. Warum? Weil die Defizitbremse die eigentliche Ursache der kantonalen Finanzprobleme gar nicht berührt: der übermässige Anstieg der öffentlichen Ausgaben.
Der neue Verfassungstext sieht einen kantonalen Steuerkoeffizienten vor. Falls Regierung und Parlament das Haushaltsdefizit nicht auf unter vier Prozent der Einnahmen drücken können, würden die fehlenden Millionen durch Steuererhöhungen zu Lasten der natürlichen und juristischen Personen eingezogen werden. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich Staatsdefizite nicht durch Steuererhöhungen korrigieren lassen, sondern nur durch die Eindämmung des Ausgabenwachstums oder gar durch selektive Ausgabenkürzungen. Das ist eine sehr schwierige Aufgabe, wie sich immer wieder zeigt – nicht nur im Tessin. Doch höhere Einnahmen stellen keinen Anreiz für die Ausgabenkontrolle dar sondern verhindern vielmehr die Einsparungen, die jährlich zu beschliessen wären.
Vor gut zehn Jahren hatte die Tessiner Regierung eine andere Lösung vorgeschlagen, namentlich eine Ausgabenbremse, die den Anstieg der Staatsausgaben an das Wirtschaftswachstum gekoppelt hätte. Und zwar an das durchschnittliche nominale Wachstum des Bruttoinlandprodukts der vorangehenden fünf Jahre, um so auch Konjunkturschwankungen Rechnung zu tragen. Das Parlament tat sich schwer mit dieser Lösung, die das Übel an der Wurzel packte, und brachte nie den Mut auf, über das Projekt zu entscheiden. Die nachfolgende Regierung zog es zurück und ersetzte es durch eine Defizitbremse und einen kantonalen Steuerkoeffizienten. Ein solcher empfiehlt sich jedoch kaum für einen Kanton wie das Tessin, vor allem weil der interkantonale Wettbewerb kaum spielt. Das Tessin ist eine Randregion und zudem geografisch und sprachlich abgeschnitten. Es ist für einen Tessiner nicht leicht zu sagen: «Wenn die Steuern angehoben werden, ziehe ich eben nach Zug.» Nun liegt der Ball beim Tessiner Stimmvolk. Der Ausgang der Abstimmung ist ungewiss.
Marina Masoni
Articolo apparso sulla NZZ am Sonntag il 6 aprile 2014
Pubblicato il: 11/04/2014